Digital und nachhaltig zugleich – geht das?

EMO Hannover 2019: Digitale Wege zur nachhaltigen Zerspanung

Frank­furt am Main, 03. Sep­tem­ber 2019. Indus­trielle Prozesse sind entwed­er dig­i­tal oder nach­haltig – das zumin­d­est denkt so manch­er, der sich mit dem The­ma noch nicht auseinan­derge­set­zt hat. Doch das VDMA-Tech­nolo­giefo­rum auf der EMO Han­nover beweist das Gegen­teil: Sin­nvoll und clever ange­wandt, kann Dig­i­tal­isierung die Nach­haltigkeit sog­ar steigern. Es kom­men vier Fir­men zu Wort, die mit ihren dig­i­tal­en Lösun­gen dazu beitra­gen, dass Werkzeuge nach­haltiger hergestellt wer­den oder dass sich mit ihnen nach­haltiger zerspanen lässt.

Mitarbeiter und Kunden erhalten Daten benutzerspezifisch aufbereitet etwa per Augmented Reality. Fehlleistungen durch falsche Interpretation bzw. Folgefehler lassen sich auf diese Weise auf ein Minimum reduzieren. Foto: Phoenix Contact
Mitar­beit­er und Kun­den erhal­ten Dat­en benutzer­spez­i­fisch auf­bere­it­et etwa per Aug­ment­ed Real­i­ty. Fehlleis­tun­gen durch falsche Inter­pre­ta­tion bzw. Fol­ge­fehler lassen sich auf diese Weise auf ein Min­i­mum reduzieren.
Foto: Phoenix Contact

Smart Ser­vice ist für Kon­rad Keck, Ver­trieb­sleit­er DACH der Benz GmbH Werkzeugsys­teme aus Haslach im Kinzig­tal (bei Offen­burg) das Zauber­wort, um Dien­stleis­tun­gen und Pro­duk­te reif für Indus­trie 4.0 (IoT-ready) zu machen. Darunter ver­ste­hen die Baden­er ein Gesamt­ser­vice-Konzept, bei dem immer mehr dig­i­tale Infor­ma­tio­nen etwa von Sen­soren zur vor­beu­gen­den Ser­vice-Abwick­lung beitragen.

Ener­gy Har­vest­ing ver­sorgt Sen­soren mit Strom
Manch­mal steckt der tech­nis­che Teufel dabei im Detail: So ver­brauchen Sen­soren oft zusät­zliche Energie. Keck nen­nt die Alter­na­tive: „Bei rotieren­den Werkzeu­gen wird die Energie für das Sen­sorsys­tem mit­tels Ener­gy Har­vest­ing erzeugt und somit weitest­ge­hend auf Bat­terielö­sun­gen verzichtet.“ Anwen­der von Ener­gy Har­vest­ing „ern­ten“ elek­trische Energie aus Quellen wie Umge­bung­stem­per­atur, Vibra­tio­nen oder Luft­strö­mungen, um so mobile Geräte oder Elek­tron­ik mit geringer Leis­tung zu versorgen.

Der nach­haltig­ste Effekt liege beim so genan­nten Smart Ser­vice jedoch darin, dass die Werkzeuge durch vor­beu­gende Wartungsin­ter­valle länger hal­ten. Wenn kün­ftig Pro­duk­te dank Dig­i­tal­isierung ihren Zus­tand ken­nen, lassen sich mit diesen Ken­nwerten Regelkreise auf­set­zen, die die Standzeit der Werkzeuge erhöhen. Wie sich die Dig­i­tal­isierung in der Prax­is auf Anwen­dun­gen auswirkt, demon­stri­eren die Baden­er in Han­nover unter anderem an dem neu entwick­el­ten Spin­del­rei­hen­magazin Benz Hybrix und der Stoßag­gre­gate-Fam­i­lie LinA, die nun IoT-ready sei.

Auf der EMO Han­nover 2019 präsen­tiert Daniel Meuris, Leit­er Dig­i­tal­isierung und Vir­tu­al­isierung beim Werkzeug­maschi­nen­her­steller Klin­gelnberg GmbH, Hück­eswa­gen, die Plat­tform GearEngine für die Verzah­nung­spro­duk­tion. Sie dient als zen­trale Sam­mel­stelle von Pro­duk­tions­dat­en und Schnittstelle zwis­chen Pro­duk­tions- und Unternehmensebene. Die Plat­tform erlaubt es dem Betreiber von Klin­gelnberg-Werkzeug­maschi­nen, soft­ware­basierte Daten­di­en­ste auf ein­fache Art und Weise einzusetzen.

Soft­ware-Tool erhöht die Werkzeugeffizienz

Als Schlüs­sel zur nach­halti­gen Zerspanung beze­ich­net Meuris die Werkzeug­ef­fizienz. Ein Beispiel ist die Kegel­rad­fer­ti­gung, bei der sich die Effizienz bish­er wegen der dort einge­set­zten Spezial­w­erkzeuge und man­gel­nder Dat­en nicht analysieren ließ. Das neue Smart­Tool­ing-Sys­tem von Klin­gelnberg kann dage­gen Werkzeuge und Vor­rich­tun­gen für Kegel­rad-Fräs­maschi­nen mit Hil­fe von Data Matrix Codes iden­ti­fizieren und in ein­er Daten­bank zen­tral ver­wal­ten. Meuris: „Die Pro­duk­tion­s­mit­tel wer­den durch einen dig­i­tal­en Zwill­ing beliebig genau beschrieben und liegen in ein­er zen­tralen Daten­bank vor, die während und nach der Verzah­nung mit Pro­duk­tions­dat­en erweit­ert wird.“ Wie das in der Prax­is funk­tion­iert, führt Klin­gelnberg in Han­nover beim Ein­satz an der Mas­chine vor.

Wie sich mit Werkzeug­dat­en die Fer­ti­gung opti­mieren lässt, beschreibt Dr. Raphael Rohde, Mitar­beit­er im Tech­nol­o­gy Devel­op­ment der Busi­ness Unit Tools and Parts der Phoenix Con­tact GmbH & Co. KG, auf dem Tech­nolo­giefo­rum der EMO Han­nover. Der Her­steller von Verbindungs- und Automa­tisierung­stech­nik ver­net­zt seine Spritzgießw­erkzeuge mit Hil­fe der Daten­er­fas­sung über RFID-Tech­nolo­gie sowie optis­che Mark­er. „Die Her­stel­lungs- sowie Pro­duk­tion­sin­for­ma­tio­nen sind stets und umfassend ver­füg­bar“, erk­lärt Rohde. „Dem Mitar­beit­er und dem Kun­den wer­den die Dat­en benutzer­spez­i­fisch in Form von Visu­al­isierungs­boards oder durch die Ver­wen­dung von Aug­ment­ed Real­i­ty zielo­ri­en­tiert auf­bere­it­et zur Ver­fü­gung gestellt. Fehlleis­tun­gen durch falsche Inter­pre­ta­tion bzw. Fol­ge­fehler kön­nen auf diese Weise auf ein Min­i­mum reduziert wer­den und tra­gen so zur Nach­haltigkeit in der Pro­duk­tion bei.“

Messtech­nik unter­stützt die dig­i­tale Transformation
Die Messtech­nik zieht wegen der Dig­i­tal­isierung der Indus­trie näher an oder in die Pro­duk­tion, beobachtet Prof. Heiko Wen­zel-Schinz­er, Geschäfts­führer und Chief Dig­i­tal Offi­cer der Wen­zel Group GmbH & Co. KG in Wiesthal: „Wir messen mehr, durch optis­che Lösun­gen, 5‑Achsmesskopf oder spezielle Mess­maschi­nen schneller und geben dank geschlossen­er Regelkreise direk­tes Feed­back an die Bear­beitungs­maschi­nen.“  Wenn die Messtech­nik aber in die Fer­ti­gung wan­dere, sei es unab­d­ing­bar, dass die Aus­fal­lzeit­en gegen Null gehen. Daher biete der Messtech­nik-Pro­duzent zusät­zliche Lösun­gen an, um Prob­leme an den Maschi­nen bere­its sehr frühzeit­ig zu ent­deck­en und zu kor­rigieren. Das erhöht die Lebens­dauer der Pro­duk­tion­stech­nik und macht sie nachhaltiger.

Aber auch die Mess­maschi­nen von Wen­zel seien für extrem lange Nut­zlaufzeit­en aus­gelegt. „Auf diesem Fun­da­ment set­zen wir mod­erne Messtech­nik ein, die immer wieder mod­ernisiert wer­den kann, ohne dass die kom­plette Mas­chine aus­ge­tauscht wer­den muss“, erk­lärt der Geschäfts­führer. „Der geschlossene Regelkreis zwis­chen Messtech­nik und Bear­beitungs­maschi­nen reduziert Auss­chuss, da wir – Stich­wort Prozessüberwachung – sehr frühzeit­ig Rück­mel­dun­gen über Fer­ti­gung­sprob­leme geben kön­nen.“ Wie unter diesen Aspek­ten das Zusam­men­spiel der Fer­ti­gung mit neuer Messtech­nik – vom portablen Mes­sarm bis hin zur High­speed-Scan­ning-Mas­chine – funk­tion­iert, zeigt die Wen­zel Group Besuch­ern der EMO Han­nover an ihrem Stand.

Mehr über Nach­haltigkeit und Dig­i­tal­isierung in der Pro­duk­tion erfahren Inter­essen­ten auf dem Tech­nolo­giefo­rum der VDMA-Fachver­bände Präzi­sion­swerkzeuge sowie Mess- und Prüftech­nik in Halle 4, Stand D39.

Autor: Niko­laus Fecht, Jour­nal­ist aus Gelsenkirchen
Umfang: rund 5800 Zeichen inkl. Leerzeichen

Kategorien: 2019, September