Bei der Nachwuchsgewinnung auf den digitalen Wandel reagieren

Gute Fachkräfte sind das Rück­grat eines Unternehmens. So ist es kein Wun­der, dass Arbeit­ge­ber sich einiges ein­fall­en lassen müssen, um sie an ihre Fir­ma zu binden. Doch was macht einen Arbeit­ge­ber in Zeit­en des dig­i­tal­en Wan­dels attrak­tiv? Wie gewin­nen die Fir­men Nach­wuch­skräfte und wie hal­ten sie ihre Mitar­beit­er im Unternehmen? Die EMO Han­nover 2019 gibt Antworten darauf.

Studierende der dualen Hochschule Baden-Würt­tem­berg entwick­eln den Trumpf-Cube. Foto: Trumpf/ Weise

Agiles Arbeit­en, IT-Kom­pe­tenz und lebenslange Weit­er­bil­dung – von den Mitar­beit­ern wer­den heute vielfältige und kom­plexe Fähigkeit­en erwartet. Zudem treten die bish­eri­gen For­men der Zusam­me­nar­beit durch die neuen Möglichkeit­en der Dig­i­tal­isierung in den Hin­ter­grund. Diesen Verän­derun­gen müssen sich die Unternehmen stellen. Ein­er der Vor­re­it­er in diesem Bere­ich ist die Trumpf GmbH + Co. KG in Ditzin­gen. Anfang April öffnete der Werkzeug­maschi­nen­bauer erst­mals die Türen für die agile Com­mu­ni­ty. Im Mit­telpunkt der 1. Agile Days stand der lösung­sori­en­tierte Aus­tausch zu aktuellen Trends und Her­aus­forderun­gen im agilen Kon­text. Doch was heißt das konkret? „Wir möcht­en mutig die Ini­tia­tive ergreifen, um der sich ras­ant verän­dern­den Welt nicht nur gerecht zu wer­den, son­dern sie aktiv zu gestal­ten – als Unternehmen, als Team, als Men­sch“, erk­lärt das Unternehmen. Und so waren für zwei Tage Inter­essen­ten nach Ditzin­gen zum Aus­tausch ein­ge­laden. Im Fokus standen vier The­men­schw­er­punk­te: Kunde und Inno­va­tion, Rollen und Kom­pe­ten­zen, Strate­gie und Ziele sowie Organ­i­sa­tion und Kultur.

Dig­i­tal­isierung ver­langt auch einen kul­turellen Wandel

Wil­helm Bauer, Leit­er des Fraun­hofer IAO und Tech­nolo­giebeauf­tragter des Lan­des Baden-Würt­tem­berg: „Viele Betriebe nehmen sich keine Zeit für die Dig­i­tal­isierung, weil die Auf­trags­büch­er voll sind.“ Foto: Trumpf/ Weise

Mithal­ten mit der Dig­i­tal­isierung, sie nach eige­nen Bedürfnis­sen und Fähigkeit­en gestal­ten und dabei trotz­dem Alt­be­währtes weit­er nutzen  – so kann es funk­tion­ieren. Prof. Wil­helm Bauer, Leit­er des Stuttgarter Fraun­hofer-Insti­tuts für Arbeitswirtschaft und Organ­i­sa­tion IAO und Tech­nolo­giebeauf­tragter des Lan­des Baden-Würt­tem­berg, sieht für eine erfol­gre­iche Dig­i­tal­isierung drei Schritte: „Unternehmen müssen zunächst erken­nen, dass die Dig­i­tal­isierung eine sig­nifikante Trans­for­ma­tion der Wirtschaft bedeutet. Sie müssen zweit­ens ihre Kom­pe­ten­zen weit­er­en­twick­eln und drit­tens den Mut haben, Dinge anzu­pack­en.“ Dass das The­ma noch nicht flächen­deck­end bei den Unternehmen angekom­men ist, läge auch an der guten Kon­junk­tur: „Viele Betriebe nehmen sich keine Zeit für die Dig­i­tal­isierung, weil die Auf­trags­büch­er voll sind. Dabei sind ger­ade in wirtschaftlich guten Zeit­en die nöti­gen Mit­tel vorhan­den, um das The­ma anzugehen.“

Oliv­er Maassen, Leit­er Per­son­al- und Sozial­we­sen der Trumpf Gruppe: „Dig­i­tal­isierung muss ein fun­da­men­taler Baustein der Bil­dung wer­den, egal ob in Grund- oder Hochschulen“. Foto: Trumpf/ Weise

Für den Trumpf-Per­son­alchef Oliv­er Maassen ver­langt die Dig­i­tal­isierung auch nach einem kul­turellen Wan­del: „Der dig­i­tale Wan­del erfordert die Frei­heit, Fehler machen zu dür­fen, um aus ihnen zu ler­nen“, sagte Maassen. Agile Arbeitsweisen helfen, dieses neue Ver­ständ­nis von Arbeit bei Trumpf zu etablieren. „Beste­hende Struk­turen müssen elastisch sein, um frische, kreative Ideen, zum Beispiel von Beruf­se­in­steigern, zuzu­lassen“, ergänzt Bauer. „Egal ob top-down oder bot­tom-up – wenn die Verän­derung aus bei­den Rich­tun­gen angestoßen wird, ver­stärkt sich der Prozess gegen­seit­ig“, so Bauer weit­er. Doch Dig­i­tal­isierung bedeute auch, das Ver­ständ­nis von Führung zu verän­dern. „Für den Chef oder die Chefin 4.0 ste­ht die Kom­pe­ten­zen­twick­lung der Mitar­beit­er im Fokus“, sagte Maassen. „Gle­ichzeit­ig entwick­elt die Führungskraft ihre eige­nen Fähigkeit­en weit­er und holt sich regelmäßig Feed­back ein. Das Stich­wort für den Erfolg lautet Kommunikation.“

Zukun­ft­sori­en­tierte Mitar­beit­erbindung begin­nt mit der Ausbildung

Fest ste­ht: Nur qual­i­fizierte Mitar­beit­er garantieren ger­ade mit Blick auf die vielfälti­gen Verän­derun­gen in der Arbeitswelt eine erfol­gre­iche Entwick­lung des Unternehmens. Ein Weg, diese zu bekom­men, ist, sie selb­st auszu­bilden. Seit nun­mehr zehn Jahren hat sich die Nach­wuchss­tiftung Maschi­nen­bau gGmbH zu einem wichti­gen strate­gis­chen Part­ner der beru­flichen Bil­dung in Deutsch­land entwick­elt. Die Stärkung der Beruf­sori­en­tierung in den all­ge­mein­bilden­den Schulen, die Absicherung des Fachkräftebe­darfs für den gesamten Maschi­nen- und Anla­gen­bau sowie der zeit­na­he Inno­va­tion­strans­fer neuer Tech­nolo­gien in die beru­fliche Bil­dung ste­hen im Fokus der Aktiv­itäten. Entsprechend ste­hen auch The­men wie Indus­trie 4.0 und mobiles Ler­nen auf der Agen­da der Stiftung. In ver­schiede­nen Work­shops wer­den Lehrkräfte im Maschi­nen­bau Infor­ma­tio­nen und Methodiken zum Umgang mit diesen Zukun­ft­s­the­men ver­mit­telt. Ein Beispiel ist Mobile Learn­ing in Smart Fac­to­ries. Dies ist eine in der jew­eili­gen Arbeits- und Ler­numge­bung nutzbare App­lika­tion auf einem Mobil­gerät, die über das Inter­net abruf­bare kon­tex­trel­e­vante Infor­ma­tio­nen didak­tisch auf­bere­it­et zur Ver­fü­gung stellt. Ziel­gruppe sind Auszu­bildende und ihre Aus­bilder sowie Beruf­san­fänger im Maschinenbau.

„Peter Bole, Stiftungsleit­er Nach­wuchss­tiftung Maschi­nen­bau: „Die Nutzung mod­ern­er Kom­mu­nika­tion­s­me­di­en ist eine Möglichkeit, attrak­tiv­er zu wer­den und poten­ziellen Nach­wuchs anzus­prechen.” Foto: Nach­wuchss­tiftung Maschi­nen­bau gGmbH

Dass die Ange­bote gern angenom­men wer­den, bestätigt Stiftungsleit­er Peter Bole: „Seit Grün­dung der Stiftung wur­den in den ver­gan­genen zehn Jahren mehr als 7.300 Aus­bilder und Lehrer in mehrtägi­gen Sem­i­naren auf die zukün­fti­gen Her­aus­forderun­gen vor­bere­it­et, um den Tech­nolo­gi­etrans­fer des Maschi­nen­baus in die beru­fliche Bil­dung sicherzustellen. Eben­so kon­nten wir mehr als 120.000 junge Men­schen im Rah­men der Son­der­schau Jugend auf der let­zten EMO Han­nover und weit­eren Leitmessen von der Attrak­tiv­ität und den Chan­cen der Branche überzeu­gen.“ Er unter­stre­icht, dass Dig­i­tal­isierung und Indus­trie 4.0 zunehmend ein fes­ter Bestandteil der Aus­bil­dung sind. „Die Nach­wuchss­tiftung Maschi­nen­bau hat sich den Her­aus­forderun­gen der Dig­i­tal­isierung gezielt mit drei weg­weisenden Pro­jek­ten gestellt: mit der Erprobung ein­er Zusatzqual­i­fika­tion für dig­i­tale Fer­ti­gung­sprozesse im Auf­trag des Bun­desin­sti­tuts für Berufs­bil­dung, mit dem Auf­bau eines Inno­va­tions- und Trans­fer­net­zw­erkes in Baden-Würt­tem­berg zur Umset­zung der Dig­i­tal­isierung in der beru­flichen Bil­dung und mit der Umset­zung eines NRW-weit­en Pilot­pro­jek­ts zur Imple­men­tierung von Indus­trie 4.0 und Dig­i­tal­isierung. Hier wer­den 600 Aus­bilder und Lehrer zu Mul­ti­p­lika­toren qual­i­fiziert. In einem zweit­en Schritt wer­den diese zusät­zlichen Kom­pe­ten­zen zu Indus­trie 4.0 dann an zir­ka 1.200 Auszu­bildende vermittelt.“

Unternehmen emp­fiehlt Stiftungsleit­er Bole, beim Recruit­ing von Auszu­bilden­den auch auf dig­i­tale Meth­o­d­en zu set­zen. „Wer junge Men­schen für sich gewin­nen möchte, muss ihr Inter­esse weck­en. Die Nutzung mod­ern­er Kom­mu­nika­tion­s­me­di­en, wie zum Beispiel Social Media Kanäle, ist eine Möglichkeit, attrak­tiv­er zu wer­den und poten­ziellen Nach­wuchs anzus­prechen. Zunehmend ist davon auszuge­hen, dass bei den Dig­i­tal Natives auch der Dig­i­tal­isierungs­grad im beru­flichen Umfeld ein entschei­den­der Fak­tor wird. Unternehmen soll­ten ihre Aus­bil­dung dahinge­hend weit­er­en­twick­eln und dies über die ein­gangs genan­nten Kanäle auch kommunizieren.“

Agile Struk­turen erfordern bere­ich­süber­greifende Zusammenarbeit

Agile Struk­turen erfordern, dass Mitar­beit­er aus unter­schiedlichen Bere­ichen gemein­sam an Pro­jek­ten arbeit­en. Bei Trumpf prak­tizieren Stu­den­ten der dualen Hochschule Baden-Würt­tem­berg diese Form der Zusam­me­nar­beit bere­its im Rah­men ihrer Aus­bil­dung. Im ersten Lehr­jahr ihrer Aus­bil­dung erhal­ten sie die Auf­gabe, ein Pro­dukt zu entwick­eln – vom Mod­ell über die Kon­struk­tion bis hin zur Ver­mark­tung. Dabei soll ver­mit­telt wer­den, wie ein Pro­duk­tentste­hungs- und Ver­mark­tung­sprozess abläuft.

Der so genan­nte Trumpf-Cube, den sie dabei entwick­eln, soll 30 Zen­time­ter hoch, lang und bre­it sein. Welche Funk­tion das Pro­dukt let­z­tendlich hat, bleibt dabei den Stu­den­ten über­lassen. Sie bear­beit­en die Auf­gabe in fünf- bis sech­sköp­fi­gen Teams, die sich aus Studieren­den der Fachrich­tun­gen Mecha­tron­ik, Elek­trotech­nik, Infor­matik, Wirtschaftsin­ge­nieur­we­sen und Maschi­nen­bau zusam­menset­zen. Das Pro­jekt gliedert sich in zwei Phasen: einen Auf­tak­t­work­shop, in dem jedes Team ein Cube-Mod­ell aus Papi­er entwirft und einen zweit­en Schritt, in dem ein funk­tions­fähiger Pro­to­typ entste­ht. Jedes Team erhält das gle­iche Bud­get, über das es frei ver­fü­gen kann. „Beim Pro­jekt Dig­i­taler Schlüs­selka­s­ten nutzten die Studieren­den dieses Bud­get zum Beispiel für kleine Motoren, die einen Grei­farm antreiben. Der Grei­farm schleust die Schlüs­sel auf Knopf­druck automa­tisiert über eine 3D-gedruck­te Rampe aus dem Cube aus“, beschreibt  Torsten Klaus, Leit­er der tech­nis­chen Aus­bil­dung bei Trumpf in Ditzin­gen, ein prak­tis­ches Beispiel.

Men­schen haben im dig­i­tal­en Zeital­ter Schlüsselfunktion

“Wir wollen unser Know-how ein­brin­gen, um diese Umwälzun­gen möglichst men­schen­gerecht zu gestal­ten“, sagt Prof. Berend Denke­na, Präsi­dent der WGP und Leit­er des Insti­tuts für Fer­ti­gung­stech­nik und Werkzeug­maschi­nen IFW der Uni­ver­sität Han­nover. Foto: IFW Hannover

Bere­its Mitte 2018 hat die WGP (Wis­senschaftliche Gesellschaft für Pro­duk­tion­stech­nik) sich mit den gesellschaftlichen Fol­gen von Dig­i­tal­isierung und Ver­net­zung in der deutschen Indus­trie auseinan­derge­set­zt. In ihrem Stand­punk­t­pa­pi­er Indus­triear­beit­splatz 2025 haben sich die Autoren mit dieser Entwick­lung auseinan­derge­set­zt und ein neues Mod­ell entwick­elt, das den Automa­tisierungs­grad in der Indus­trie analysiert. Es zeigt, in welche Rich­tung Hand­lungs­be­darf beste­ht. „Jede indus­trielle Rev­o­lu­tion, und als solche wird ja Indus­trie 4.0 beze­ich­net, geht mit immensen gesellschaftlichen Umwälzun­gen ein­her”, sagt Prof. Berend Denke­na, Präsi­dent der WGP und Leit­er des Insti­tuts für Fer­ti­gung­stech­nik und Werkzeug­maschi­nen IFW der Uni­ver­sität Han­nover. „Wir wollen als Zusam­men­schluss deutsch­er Pro­fes­soren der Pro­duk­tion­stech­nik unser Know-how ein­brin­gen, um diese Umwälzun­gen möglichst men­schen­gerecht zu gestalten.“

Im Faz­it des Stand­punk­t­pa­pieres heißt es, dass sowohl der Men­sch als auch die Pro­duk­tion­stech­nik in Form von automa­tisierten Sys­te­men weit­er­hin gemein­sam gefordert seien. Es gelte, ein opti­males Ver­hält­nis zwis­chen men­schlich­er Arbeit und automa­tisiert­er Pro­duk­tion­stech­nik zu gestal­ten. Die Entwick­lun­gen der Dig­i­tal­isierung und die sich dadurch verän­dern­den Automa­tisierungs- und Autonomiegrade von Pro­duk­tion­ssys­te­men stellen auch nach Aus­sage der WGP neue Anforderun­gen an die Fähigkeit­en und Fer­tigkeit­en der in der Pro­duk­tion arbei­t­en­den Men­schen. „Neben den steigen­den Anforderun­gen an die Pro­duk­tion­s­mi­tar­beit­er wird in Zukun­ft aber auch die Ver­füg­barkeit qual­i­fiziert­er, stets den Anforderun­gen entsprechend aus­ge­bilde­ter Mitar­beit­er eine wesentliche Rolle spie­len”, heißt es. Dies werde wiederum durch die Demografie oder die zunehmende Het­ero­gen­ität der Ein­gangsqual­i­fika­tio­nen der Men­schen in der Aus­bil­dung beeinflusst.

Dass dies eine gesamt­ge­sellschaftliche Auf­gabe ist, unter­stre­icht neben der WGP auch Oliv­er Maassen von Trumpf: „Wir brauchen bei der Aus- und Weit­er­bil­dung eine noch stärkere Unter­stützung der Poli­tik. Dig­i­tal­isierung muss ein fun­da­men­taler Baustein der Bil­dung wer­den, egal ob in Grund- oder Hochschulen.“ Trumpf, die WGP und die Nach­wuchss­tiftung Maschi­nen­bau zeigen Indus­trie 4.0‑Lösungen auch im Sep­tem­ber auf der EMO Hannover.

Autorin: Annedore Bose-Munde, Fachjour­nal­istin aus Erfurt
Umfang: rund 10.900 Zeichen inkl. Leerzeichen

Hin­ter­grund:
Mitar­beit­erqual­i­fizierung und ‑rekru­tierung für die smarte Fab­rik ste­hen auch auf der EMO Han­nover im Fokus. Die Jugend­son­der­schau ist ein Klas­sik­er auf den Messen des EMO-Organ­isators VDW (Vere­in Deutsch­er Werkzeug­maschi­nen­fab­riken). Sie wird während der gesamten Mes­se­laufzeit in Halle 25 über die Met­all­berufe, Anforderun­gen, Aus­bil­dungsin­halte und Kar­ri­eremöglichkeit­en in der Werkzeug­maschi­nenin­dus­trie informieren. Ein­ge­laden wer­den rund 7 000 Jugendliche mit Aus­bildern und Lehrern aus tech­nis­chen Gym­nasien sowie tech­nis­chen Fach- und Beruf­ss­chulen. Während des VDI-Recruit­ing­tags, organ­isiert von den VDI-Nachricht­en, haben Unternehmen am 17. und 18. Sep­tem­ber 2019 in Pavil­lon 11 die Chance, sich dem Nach­wuchs als attrak­tiv­er Arbeit­ge­ber zu präsentieren.

Kategorien: 2019, Mai