Sicherheit als strategischer Prozess – METAV Safety Day gibt Einblicke in Sicherheitskonzepte für Werkzeugmaschinen

Frank­furt am Main, den 27. Janaur 2020 - Mit der europäis­chen Maschi­nen­richtlin­ie ste­ht derzeit das wohl bedeu­tend­ste Regel­w­erk für den Bere­ich Maschi­nen­sicher­heit auf dem Prüf­s­tand. Die EU-Kom­mis­sion plant eine Neu­fas­sung. Die textlichen Vor­boten sor­gen bei Unternehmen und Ver­bän­den gle­icher­maßen für Unruhe. Mögen zwar die Ziele der Revi­sion, wie etwa die Anpas­sung an den tech­nis­chen Fortschritt, noch Zus­tim­mung find­en, so liegt die Crux wie so oft im Detail. Das gilt vor allem für die Werkzeug­maschi­nen. Wie sich die sicher­heit­stech­nis­che Ausle­gung von Maschi­nen bei verän­der­lichen Rah­menbe­din­gun­gen im mark­twirtschaftlichen Wet­tbe­werb weit­er verbessern lässt, ist The­ma auf dem Safe­ty Day, zu dem der VDW (Vere­in Deutsch­er Werkzeug­maschi­nen­fab­riken) im Rah­men der Fachmesse METAV (9. bis 11. März 2020) am 10. März auf das Düs­sel­dor­fer Messegelände einlädt.

Sicherheitstechnik an zerspanenden Werkzeugmaschinen Foto: Fotolia
Sicher­heit­stech­nik an zerspanen­den Werkzeug­maschi­nen Foto: Fotolia

Dabei wer­den der derzeit gülti­gen Maschi­nen­richtlin­ie (MRL) aus dem Jahr 2006 dur­chaus pos­i­tive Effek­te für die Branche zuge­sprochen. Sie dürfte maßge­blich dazu beige­tra­gen haben, die Sicher­heits­stan­dards inner­halb der Europäis­chen Union zu vere­in­heitlichen und somit einen EU-Mehrw­ert zu gener­ieren. Für Eber­hard Beck, Leit­er Steuerung­stech­nik beim Werkzeug­maschi­nen­her­steller Index-Werke und Mit­glied des Arbeit­skreis­es 3 „Sicher­heit­stech­nik“ im VDW, ste­ht fest, dass effek­tive und pro­duk­tive Maschi­nen nur zu entwick­eln sind, wenn Her­steller alle tech­nis­chen Eigen­schaften und Funk­tio­nen durch Mes­sun­gen und Analy­sen ken­nen und doku­men­tieren kön­nen. Das umfasse auch die Maschi­nen­sicher­heit. So ließen sich Dif­feren­zierungsmerk­male am Markt erschließen und erfol­gre­ich kom­mu­nizieren. Becks klare Posi­tion: „Ich sehe den hohen Sicher­heit­szwang in Summe eher als Vorteil und weniger als Nachteil der deutschen Werkzeugmaschinenindustrie.“

Der VDW als Inter­essen­vertre­tung der deutschen Werkzeug­maschi­nenin­dus­trie hat seine eigene Strate­gie entwick­elt, um ein­er­seits in Nor­mung­sprozessen Ver­ständ­nis für die speziellen prax­is­rel­e­van­ten Aspek­te bei Werkzeug­maschi­nen zu weck­en – was sich nicht immer ein­fach darstellt, wie Experten jet­zt auch bei der Neu­fas­sung der Maschi­nen­richtlin­ie bekla­gen. Auf der anderen Seite geht es darum, Schlüs­selthe­men der Werkzeug­maschi­nen­sicher­heit mit Fach­leuten aus Mit­glied­sun­ternehmen, Zulief­er­ern und Kun­den aufzu­bere­it­en und so kon­tinuier­lich Branchen­stan­dards zu erhöhen, die sich auch nor­ma­tiv ver­ankern lassen. „Sicher­heit ist keine Eigen­schaft, son­dern ein Prozess“, betont Dr. Alexan­der Broos, Leit­er der Abteilung Forschung und Tech­nik im VDW.

Um wirk­liche (Personen-)Sicherheit im Umgang mit Maschi­nen erre­ichen zu kön­nen, „muss per­ma­nent gegengeprüft, über­dacht und weit­ergedacht wer­den“, bestätigt Eber­hard Beck. Jed­er im Laufe der Maschi­nen­nutzung bekan­nt wer­dende Beina­he-Unfall oder Unfall müsse sicher­heits­gerichtet berück­sichtigt und geprüft wer­den, um gegebe­nen­falls nachzubessern. Nur so sei es möglich, die Maschi­nen­sicher­heit kon­tinuier­lich zu erhöhen und dafür zu sor­gen, „dass auch der gle­ichzeit­ige Ein­tritt ein­er Vielzahl uner­warteter Gefährdungssi­t­u­a­tio­nen im Sinne der Per­so­n­en­sicher­heit beherrscht wer­den kann.“ Eber­hard Beck zieht für sich selb­st daraus die Moti­va­tion, sich im VDW für das The­ma Sicher­heit­stech­nik zu engagieren. Die Arbeit im Arbeit­skreis diene dem Erfahrungsaus­tausch und sozusagen als „Katalysator“, stellt er fest.

Wis­senschaftliche Unter­stützung unverzichtbar

Da es nicht mehr nur um kon­tinuier­liche Verbesserun­gen, son­dern um den Nach­weis der Wahrschein­lichkeit des Ein­tritts eines kri­tis­chen Ereigniss­es (prob­a­bilis­tis­che Betra­ch­tungsweise) und die Bew­er­tung des Restrisikos geht, wird darüber hin­aus die Zusam­me­nar­beit mit Uni­ver­sitäten und Forschungsin­sti­tuten forciert. So wurde in bish­eri­gen Stu­di­en unter anderem unter­sucht, wie der Ein­satz tren­nen­der Schutzein­rich­tun­gen zur sig­nifikan­ten Reduzierung des Sicher­heit­srisikos führen kann oder welche Möglichkeit­en es gibt, etwa das Risiko des Falls ein­er schw­erkraft­be­lasteten Achse zu minimieren.

Während auf der einen, der Her­steller­seite, Unter­suchun­gen vom VDW ini­ti­iert und unter­stützt wer­den, sind auf der anderen, der Kun­den- und Anwen­der­seite, die Beruf­sgenossen­schaften mit eige­nen Forschung­spro­jek­ten unter­wegs. Im Ide­al­fall kom­men die Experten zu übere­in­stim­menden Ergeb­nis­sen, für die dann auch gemein­sam inter­na­tion­al um Anerken­nung gewor­ben wird. So reiste Chris­t­ian Adler, Leit­er der Prüf- und Zer­ti­fizierungsstelle Ober­flächen­tech­nik und Anschlag­mit­tel der Beruf­sgenossen­schaft Holz und Met­all (BGHM), Han­nover, Ende Jan­u­ar mit dem VDW-Sicher­heit­sex­perten Hein­rich Möd­den nach Tokio, um dort für einen Vorschlag zur Dimen­sion­ierung von Schutzein­rich­tun­gen an Schleif­maschi­nen zu wer­ben. „Aus­gangspunkt des Prob­lems war, dass die bish­erige Ausle­gungskon­ven­tion völ­lig über­zo­gen und kaum umset­zbar war“, so Adler, was dazu führte, dass die Norm in der Prax­is ein­fach nicht beachtet wurde. Die BGHM kon­nte mit eigen­er Studie nach­weisen, dass die Umhausung gar nicht so mas­siv sein muss, da sie sich auch ver­for­men darf, ohne ihre Sicher­heitswirkung zu ver­lieren. Den erar­beit­eten Vorschlag wird Chris­t­ian Adler beim METAV Safe­ty Day vorstellen. Grund­sät­zlich ver­tritt er die Auf­fas­sung, dass „es keinen Sinn macht, die per­fek­te Schutzein­rich­tung zu fordern, wenn die Mas­chine dann aus prak­tis­chen oder wirtschaftlichen Erwä­gun­gen nicht gebaut wer­den kann“.

Wirtschaftlichkeit als Prämisse

Natür­lich sind bei der Ausle­gung ein­er Mas­chine wirtschaftliche Erwä­gun­gen vor­rangig. „In erster Lin­ie muss eine Mas­chine tun, wofür sie angeschafft wird“, beschreibt Dr. Alexan­der Broos die Kun­den­sicht, „und das muss wirtschaftlich sein.“ Der Bal­anceakt zwis­chen Markt- und Sicher­heit­san­forderun­gen spiele sich in einem Span­nungs­feld ab, das sich „tage­sak­tuell“ ändert, wie der VDW-Experte sagt. So werde schon mal nach einem Unfall durch eine importierte, nicht normkon­forme Mas­chine der Ruf nach höheren Sicher­heits­stan­dards für europäis­che Pro­duk­te laut. Neue sach­liche Brisanz ergebe sich derzeit daraus, dass bei der Reform der Maschi­nen­richtlin­ie die The­men Cyber­se­cu­ri­ty und kün­stliche Intel­li­genz mit aufgenom­men wer­den sollen. Dahin­ter ste­ht zwar das nachvol­lziehbare Anliegen, den tech­nis­chen Fortschritt abzu­bilden, doch seien The­men wie etwa die Prozes­sop­ti­mierung durch Dig­i­tal­isierung und Maschi­nen­sicher­heit nach Auf­fas­sung von Broos grund­sät­zlich zu tren­nen. „Eine Mas­chine wird schließlich nicht dadurch unsicher­er, dass der Bear­beitung­sprozess mit KI-Meth­o­d­en opti­miert wird.“ Die Ver­men­gung der Begriffe Safe­ty und Secu­ri­ty – in der deutschen Über­set­zung „Sicher­heit“ nicht zu unter­schei­den – wird auf der METAV 2020 in zwei unter­schiedlichen Ver­anstal­tun­gen klar getren­nt. Beim The­ma Cyber­se­cu­ri­ty geht es, ein­fach gesprochen, um den Schutz der Mas­chine vor Angrif­f­en des Men­schen. Bei Safe­ty ste­ht der Schutz des Men­schen vor der Mas­chine – oder sich selb­st – im Vordergrund.

Men­sch-Mas­chine-Inter­ak­tion im Fokus

Ein großes Prob­lem bleibt, dass Unfälle an Werkzeug­maschi­nen zwar sehr sel­ten passieren, dann aber, oft verur­sacht durch Bedi­ener­fehler, zu sehr schw­eren, wenn nicht gar tödlichen Ver­let­zun­gen führen kön­nen. Der wichtig­ste Gedanke ist daher, wie die „Fehlerquelle“ Men­sch vor sich selb­st zu schützen ist. Dazu sagt die Drei-Stufen-Strate­gie der Risiko­min­imierung nach ISO 12100, dass an erste Stelle eine inhärente, also zusam­men­hän­gende sichere Maschi­nenkon­struk­tion ste­hen muss. An zweit­er Stelle kom­men Schutz­maß­nah­men und ergänzende Schutz­maß­nah­men. Und erst wenn die erste und zweite Stufe vol­lum­fänglich angewen­det sind und rel­e­vante Restrisiken bleiben, geht es um Instruk­tio­nen und Benutzerinformationen.

Auf dem METAV Safe­ty Day wird der The­men­bere­ich Men­sch-Mas­chine-Inter­ak­tion bre­it­en Raum ein­nehmen. Größte Gefahren entste­hen etwa durch Fehler im Span­nvor­gang und dadurch freige­set­zte umher­fliegende Teile sowie durch Betreten des Schutzraumes ein­er Mas­chine, die noch arbeit­et, oder durch Manipulationen.

Dr. Volk­er Witt­stock, wis­senschaftlich­er Mitar­beit­er der Pro­fes­sur für Werkzeug­maschi­nenkon­struk­tion und Umformtech­nik an der TU Chem­nitz, hat die sicher­heit­stech­nis­che Prob­lem­stel­lung des Ver­tikal-Drehens in Fräs­maschi­nen mit ein­er Gruppe von Auszu­bilden­den getestet. Er beobachtete Vorgänge, analysierte Mon­tage­fehler und berech­nete die men­schliche Fehler­wahrschein­lichkeit. Daraus ent­stand das Forschungs­the­ma „Erfas­sung und Ver­gle­ich­barkeit der men­schlichen und tech­nis­chen Zuver­läs­sigkeit zur verbesserten Werk­stückspan­nung beim Ver­tikal-Drehen – MTZ Dreh“, mit dem er sich über das VDW-Forschungsin­sti­tut um Förderung bei der Arbeits­ge­mein­schaft indus­trieller Forschungsvere­ini­gun­gen (AiF) bewarb. Die Arbeit am Pro­jekt begin­nt Anfang März. Ziel ist laut Witt­stock, eine neue Beurteilungsmeth­ode der Ursache-Wirkung-Beziehung zu entwick­eln, die beim möglichen Ver­sagen der manuellen Werk­stückspan­nung und damit der unge­woll­ten Freiset­zung von Werk­stück­en entste­hen kann. Der Lösungsansatz soll vor allem kleine und mit­tel­ständis­che Unternehmen (KMU) unter­stützen, die von manueller oder teilau­toma­tisiert­er Fer­ti­gung geprägt sind.

Mit den geplanten Nutzertests, an denen sich möglichst viele Betriebe beteili­gen sollen, wer­den Schwächen der Men­sch-Mas­chine-Inter­ak­tion erkan­nt, so Witt­stock. Er sieht hier Ansatzpunk­te, um Instruk­tio­nen oder auch das generelle Wis­sen von sicher­heit­srel­e­van­ten Zusam­men­hän­gen etwa durch Pri­or­isierun­gen zu verbessern. Ob dieses Wis­sen dann vorzugsweise per Handy, via Bild­schirm an der Mas­chine oder gar über Vir­tu­al Real­i­ty (VR) ver­mit­telt wird, dürfte Witt­stock sich­er auch auf dem METAV Safe­ty Day gefragt wer­den. Klare Ansätze gibt es noch nicht, sagt er, zumal auch die Vor­gaben durch die neue Maschi­nen­richtlin­ie dabei eine Rolle spie­len. Eine dig­i­tale Betrieb­san­leitung würde jeden­falls sehr große Spiel­räume zulassen. Eine Betrieb­san­leitung auf Papi­er oder per PDF, wie sie in der Neu­fas­sung der Maschi­nen­richtlin­ie derzeit auch noch vorge­se­hen ist, tut das eher nicht.

VDW-Tech­nolo­gi­etag – Sicher­heit­stech­nik an Werkzeug­maschi­nen bei verän­der­lichen Rah­menbe­din­gun­gen, 10. März 2020, in Halle 1, Raum 14
10.00 Uhr Begrüßung
10.10 Uhr Bevorste­hende Revi­sion der Maschinenrichtline
10.40 Uhr Risikobeurteilung und Nach­weis eines tolerier­baren Restrisikos
11.30 Uhr Erfol­gsprinzip­i­en für die Sicherheit
12.20 Uhr Mittagspause
13.00 Uhr Erfol­gsprinzip­i­en für die Sicherheit
14.40 Uhr Rechtliche Aspekte
KASTEN ENDE

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Autorin: Cor­nelia Gewiehs, freie Jour­nal­istin, Roten­burg (Wümme)

Kategorien: 2020, Februar