Digitalisierung macht Instandhaltung mobil: Zustandsüberwachung autonomer Maschinen ist komplexes Thema

Die Dig­i­tal­isierung hält zunehmend auch in der Instand­hal­tung Einzug. Während das The­ma vor ein paar Jahren automa­tisch mit einem Blau­mann assozi­iert wurde, wer­den heute dig­i­tale Ser­vices und mobile Endgeräte wie Tablets und Daten­brillen immer selb­stver­ständlich­er. Beispiele dafür präsen­tieren die Aussteller auf der EMO Han­nover 2019.

Die Smart Fac­to­ry und die damit ver­bun­dene Dig­i­tal­isierung bieten vielfältiges Poten­zial für eine nach­haltige, prädik­tive Instand­hal­tung. Doch welche Vorteile ergeben sich daraus für die Unternehmen? Und welche Voraus­set­zun­gen müssen geschaf­fen wer­den, damit der Date­naus­tausch zur Pla­nung, Abwick­lung und Doku­men­ta­tion von Instand­hal­tungs­maß­nah­men rei­bungs­los funktioniert?

Fest ste­ht: Instand­hal­ter sind immer Dien­stleis­ter der Pro­duk­tion – auch wenn sich das Berufs­bild in den ver­gan­genen Jahren stark gewan­delt hat. „Instand­hal­ter sind heute nicht mehr nur diejeni­gen, die gerufen wer­den, wenn die Mas­chine ein mech­a­nis­ches, hydraulis­ches oder pneu­ma­tis­ches Prob­lem hat, dass zu einem Maschi­nen­still­stand geführt hat“, erk­lärt Peter Strohm, Pro­jek­t­man­ag­er Glob­al Ser­vice bei der Emag Sys­tems GmbH. „Vielmehr ist es wichtig, dass ein guter Instand­hal­ter seine Maschi­nen hard- und soft­ware­seit­ig bestens ken­nt, um vorauss­chauend Repara­turen zu pla­nen und benötigtes Mate­r­i­al zu beschaf­fen. Hier­bei helfen ihm zunehmend dig­i­tale Ser­vices, die ihn bei der Überwachung des Zus­tands sein­er Maschi­nen unter­stützen. Schon beim Maschi­nenkauf sollten

Unternehmen darauf acht­en, dass der Her­steller Ser­vicelö­sun­gen anbi­etet, die auf den indi­vidu­ellen Bedarf zugeschnit­ten sind. Emag reagiert hier flex­i­bel: „Wir bieten unseren Kun­den die Instand­hal­tung durch unsere eige­nen Spezial­is­ten an, aber wir unter­stützen auch die Kun­den, die das The­ma selb­st abdeck­en möcht­en. Grund­sät­zlich ist jedoch wichtig, dass für jede Lösung Zukun­ftssicher­heit im Hin­blick auf Dig­i­tal­isierung beste­ht“, sagt Strohm.

Man­age­men­twerkzeug für die Struk­turierung der Instandhaltung

Doch wie sollte ein Unternehmen seine Instand­hal­tung­sprozesse möglichst nachvol­lziehbar konzip­ieren und umset­zen? Ein neuer EU-Stan­dard gilt hier als Man­age­men­twerkzeug: Die DIN EN 17007:2017 struk­turi­ert und beschreibt die typ­is­chen Prozesse der Instand­hal­tung eines Unternehmens in all­ge­me­ingültiger Form. Diese Prozesse dienen als Ref­erenz, um beispiel­sweise die eige­nen Prozesse mit den Leis­tun­gen von Dien­stleis­tern aufeinan­der abzus­tim­men oder sich mit anderen Unternehmen zu ver­gle­ichen. Das Regel­w­erk bietet darüber hin­aus Hin­weise für geeignete Kenn­zahlen zur Mes­sung der einzel­nen Instandhaltungsprozesse.

Die DIN EN 17007:2017 basiert auf einem franzö­sis­chen Stan­dard und wurde in Zusam­me­nar­beit mit mehreren europäis­chen Län­dern umfassend erweit­ert. In Deutsch­land haben Instand­hal­tungsver­ant­wortliche aus unter­schiedlichen Unternehmen der Fer­ti­gungs- und Prozessin­dus­trie an der Entwick­lung mit­gewirkt. Ein­er, der fed­er­führend daran beteiligt war, ist Prof. Dr. Lennart Brum­by, Stu­di­en­gangsleit­er Ser­vice-Inge­nieur­we­sen an der Dualen Hochschule Baden-Würt­tem­berg in Mannheim.

Ref­eren­zprozesse für die wesentlichen Abläufe der Instandhaltung

In der ver­net­zten Arbeitswelt der Indus­trie 4.0 wird es wichtig sein, neben aufein-ander abges­timmten Infor­ma­tion­ssys­te­men auch die jew­eili­gen Unternehmen­sprozesse aufeinan­der abzus­tim­men. Die Instand­hal­tung als Vor­re­it­er der Indus­trie 4.0 braucht daher Ref­eren­zprozesse für die wesentlichen Abläufe, sowohl für die Kern­prozesse der reak­tiv­en und kor­rek­tiv­en Instand­hal­tung als auch für die vielfälti­gen Unter­stützung­sprozesse. Nur so kann die Ver­net­zung gelin­gen“, unter­stre­icht er die Notwendigkeit ein­er struk­turi­erten und ver­gle­ich­baren Vorgehensweise.

Die Norm ist wie alle Nor­men nicht verpflich­t­end in der Anwen­dung. Wohl aber ist es für jedes Unternehmen rat­sam, die eige­nen Prozesse der Instand­hal­tung auf die Prozesse der DIN EN 17007:2017 anzu­passen. Nur so wer­den Unternehmen für die Welt der Indus­trie 4.0 gewapp­net sein“, erläutert Brum­by die Rel­e­vanz. Zum Anwen­dung­sum­fang sagt er: „Die DIN EN 17007:2017 beschreibt nicht nur die klas­sis­chen Kern­prozesse der Instand­hal­tung, wie Reparatur und vor­beu­gende Wartung, son­dern bein­hal­tet auch die vie­len beglei­t­en­den, unter­stützen­den Prozesse, ohne die die Instand­hal­tung nicht funk­tion­ieren würde. Und es wer­den die vie­len Verknüp­fun­gen und Infor­ma­tions­flüsse zwis­chen diesen Prozessen aufgezeigt. Denn ger­ade in der Abstim­mung und Ver­net­zung der Prozesse liegt in der Regel ein großes Optimierungspotenzial.“

Ver­sagens­fälle bei Achsen und Spin­deln voraussagen

Im täglichen Prozess ori­en­tieren sich die Unternehmen ganz prak­tisch an der neuen Norm. „Bei Emag arbeit­en wir seit einiger Zeit an einem Pro­dukt, das eine Ver­schleiß­analyse der Achsen und Spin­deln der Mas­chine mit­tels Vibra­tionssen­sor ermöglicht. Bei einem definierten Trock­en­lauf der Mas­chine kön­nen wir zukün­ftig mit Hil­fe eines Algo­rith­mus auswerten, welche Kom­po­nen­ten der Mas­chine dem­nächst ver­sagen wer­den, um den Instand­hal­ter opti­mal bei sein­er Reparatur- und Wartungs­pla­nung zu unter­stützen“, nen­nt Fach­mann Peter Strohm ein Beispiel. Ziel dieser vor­beu­gen­den und vorauss­chauen­den Instand­hal­tung – auch Pre­ven­tive und Pre­dic­tive Main­te­nance genan­nt – ist es, Still­stände kün­ftig kom­plett zu ver­hin­dern. In der Prax­is hat sich das Emag-Sys­tem bere­its bewährt, denn es läuft derzeit erfol­gre­ich bei Pilotkun­den im Testbetrieb.

Ein weit­eres Beispiel ist eine Ser­vice-App von Emag. „Damit ist es für Instand­hal­ter ein Leicht­es, mit unserem Ser­vice in Kon­takt zu treten. Durch den Scan eines QR-Codes an neuen Emag-Maschi­nen erken­nt die App den Maschi­nen­typ und den Stan­dort und kann den richti­gen Ser­vice-Ansprech­part­ner bes­tim­men. Alte Maschi­nen wer­den ohne Alters­gren­ze kosten­los nachgerüstet“, erk­lärt Strohm. Wahlweise kön­nen die Kun­den dann tele­fonisch, per Mail oder per Live-Videochat mit den Spezial­is­ten in Verbindung treten.

Das Know-how rund um die Analyse der vie­len Sen­sor- und Pro­duk­tions­dat­en hat für Emag eine strate­gis­che Bedeu­tung. Vor diesem Hin­ter­grund über­nahm die Emag Gruppe im Sep­tem­ber eine Min­der­heits­beteili­gung am Unternehmen anaci­sion, einem Spezial­is­ten für Date­n­analyse mit Sitz in Karl­sruhe. Die Part­ner entwick­eln gemein­sam Soft­warelö­sun­gen für den Werkzeug­maschi­nen­bau – zum Beispiel im Bere­ich der vorauss­chauen­den Wartung. „Wir betra­cht­en unsere Min­der­heits­beteili­gung an anaci­sion als Startschuss für eine weitre­ichende strate­gis­che Entwick­lungspart­ner­schaft im Bere­ich Indus­trie 4.0“, sagt Markus Heßbrüggen, CEO der Emag Gruppe.

Unternehmen müssen ihre Mitar­beit­er qualifizieren

Doch die Fach­leute müssen heute nicht nur Maschi­nen und Automa­tisierungssys­teme instand hal­ten und opti­mieren. Sie müssen auch dafür sor­gen, dass die Sys­teme untere­inan­der kom­mu­nizieren. Zudem müssen über die Schnittstellen hin­weg Date­n­analy­sen möglich sein. Damit soll let­z­tendlich weit­eres Effizien­zpoten­zial für die Auswahl geeigneter Maß­nah­men iden­ti­fiziert werden.

Ger­ade die Schnittstelle zwis­chen IT und Instand­hal­tung ist ein wichtiger Eckpfeil­er der mod­er­nen Instand­hal­tung. „Hier liegt auch eine große Her­aus­forderung für die Unternehmen, denn sie müssen in diesem kom­plex­en Umfeld die entsprechen­den Qual­i­fika­tio­nen für die Mitar­beit­er schaf­fen“, sagt Dr. Jens Reichel, Leit­er Tech­nis­che Dien­stleis­tun­gen & Energie bei der thyssenk­rupp Steel Europe AG in Duis­burg. Ins­beson­dere vor dem Hin­ter­grund, dass IT-Fachkräfte auf dem Arbeits­markt sehr begehrt sind, sei dies mitunter schwierig.

Daten­sicher­heit für alle Beteiligten gewährleisten

Ein weit­er­er wichtiger Punkt bei der dig­i­tal­isierten, mobilen Instand­hal­tung ist für Reichel das The­ma Daten­sicher­heit. Smart Ser­vices wer­den heute häu­fig so real­isiert, dass ein Pro­duk­tion­sun­ternehmen über eine Schnittstelle eine Cloud mit den Pro­duk­tions­dat­en füt­tert. Dort wer­den im Hin­ter­grund entsprechende Analy­sen durchge­führt, die dann wiederum Rückschlüsse auf das Anla­gengeschehen zulassen, aber auch auf mögliche Aus­fälle hin­weisen. „Viele Pro­duk­tion­sun­ternehmen tun sich schw­er damit, Dritte in die eige­nen Dat­en hinein­schauen zu lassen. Ein­er­seits weil dadurch Rückschlüsse auf Prozess­pa­ra­me­ter möglich sind und damit Unternehmens-Know-how preis­gegeben­wird. Ander­er­seits wer­den Zugangskanäle in die Pro­duk­tion­s­abläufe geöffnet, die zu Miss­brauch führen kön­nten“, weiß Reichel.

Um dem ent­ge­gen­zuwirken, wer­den sehr dezi­dierte Fil­ter für die geöffneten Kanäle geschaf­fen, die so genan­nten Fire­walls. Mit diesen sor­gen Unternehmen dafür, dass Intru­sio­nen weniger ein­fach möglich sind. Ein zweit­er Weg ist, die Datenöff­nung ganz gezielt nur soweit vorzunehmen, wie es der jew­eilige Fall erfordert. Das heißt, dass die zur Ver­fü­gung ste­hen­den Dat­en vorher gefiltert wer­den, um sie auf genau das Maß zu reduzieren, welch­es für die vorge­se­hene Analyse erforder­lich ist. In diesem Fall müssen Mitar­beit­er dafür sen­si­bil­isiert wer­den, an den entsprechen­den Schnittstellen die notwendi­gen Sicher­heit­sproze­duren zu instal­lieren. „Wichtig ist let­z­tendlich das Bewusst­sein dafür, dass ich mich mit der Instand­hal­tung in einem Bere­ich des schützen­werten Unternehmens-Know-hows befinde“, betont Reichel die Bedeu­tung der Thematik.

Werkzeug­maschi­nen­bauer Emag gewährleis­tet die Dat­en- und Zugriff­s­sicher­heit, indem der Abgriff von definierten Dat­en mit einem sep­a­rat­en Auswerte-PC an der Maschi­nen­s­teuerung erfol­gt. „Dieser schreibt die Dat­en auf einen lokalen Serv­er beim Kun­den. Der Kunde kann dann entschei­den, ob und welche Dat­en mit einem Cloud-Serv­er syn­chro­nisiert wer­den. Dadurch ist die Maschi­nen­s­teuerung nicht direkt mit dem Inter­net ver­bun­den und der Kunde hat die freie Wahl, wie er mit seinen Dat­en ver­fahren möchte“, erläutert Pro­jek­t­man­ag­er Peter Strohm.

Pass­ge­naues Con­di­tion Mon­i­tor­ing sichert Marktvorteile

Doch Instand­hal­tung bietet in eini­gen Punk­ten auch zusät­zlich­es Effizien­zpoten­zial. Bei thyssenk­rupp Steel set­zen sich die Fach­leute derzeit damit auseinan­der, wie Con­di­tion Mon­i­tor­ing-Sys­teme dahinge­hend weit­er­en­twick­elt wer­den kön­nen, dass sie mit Dat­en aus der Prozess­führung, den Prozes­sautoma­tisierungssys­te­men und aus dem Qual­itäts­man­age­ment gekop­pelt wer­den kön­nen. „Ziel ist es, Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie die Anlage opti­mal gefahren wer­den kann, also entwed­er standzeitop­ti­miert oder je nach Teile­spek­trum mit höchst möglichem Durch­satz oder mit best­möglich­er Qual­ität“, erk­lärt  Reichel.

Fest ste­ht: Instand­hal­tung ist heute ein sehr kom­plex­es The­ma, das viele Poten­ziale für Effizien­zsteigerun­gen bietet, aber auch mit vie­len Her­aus­forderun­gen ein­herge­ht. Dem will die neue DIN EN 17007:2017 gerecht wer­den und prak­tis­che Ori­en­tierung­shil­fe bieten. Brum­by unter­stre­icht das: „Es gab bis­lang keine der­art umfassende Beschrei­bung der Prozesse der Instand­hal­tung. Frühere Beschrei­bun­gen haben immer nur Teilaspek­te der Instand­hal­tung abge­bildet. Die Ver­net­zung der Prozesse, in der die eigentliche Kom­plex­ität der Instand­hal­tung liegt, wurde jedoch oft­mals ausgeblendet.“

Autorin: Annedore Bose-Munde, Fachjour­nal­istin aus Erfurt

Bildquelle: Emag (1), thyssenk­rupp (2), thyssenk­rupp (3)

Kategorien: 2018, November